Was für ein aufregender Morgen! Heute in aller Früh kam mein Heubauer, um einen vergammelten Heuballen auszutauschen. Kurz vor zehn Uhr ging ich mit den Hunden durch die Halle zu den Pferden, um sie zum Heu auf den Paddock zu lassen (schon am Abend zuvor hatte ich das Morgenheu nach draußen gebracht). Ich öffne dann nacheinander alle Boxentüren – bei der hintersten Box von Cera angefangen. Die Pferde kennen den Weg und schlendern gemütlich zum Paddock. Manchmal naschen sie unterwegs Reste von Grün am kleinen Wall.
Heute Morgen war alles anders. Dango, der Vorletzte beim Rausgehen, traute sich nicht an dem kleinen Folienrest vorbei, den der Bauer beim Heuballen-Abholen liegen gelassen hatte, und wählte den Weg rückwärts durch die Stallgasse auf den Reitplatz, wo er seinen Kumpels, die schon im Paddock waren, laut hinterherprustete. Die kamen daraufhin zurück, ihn abzuholen. Donovan eilte Dango gleich entgegen. Cera, Rasga und Asterix aber liefen schnurstracks geradeaus. Denn, was ich erst jetzt sehen konnte: Der Bauer hatte das große Metalltor sperrangelweit aufgelassen!!!
Nun hatte ich zwei aufgebrachte Pferde auf dem Reitplatz und drei Pferde, die außerhalb des Zauns vor der Halle trabten. Was sollte ich tun? Ich entschied mich, erst einmal das Tor zu schließen, damit nicht auch noch Donovan und Dango zur Flucht ansetzen konnten. Die paar Sekunden nutze Cera, den Weg zur Straße zu erkunden, dicht gefolgt von Rasga und Asterix. Das ist mir in 27 Jahren meiner Stallgeschichte noch nicht passiert, dass mir Pferde abgehauen sind!
Ich bin den dreien mit einem Strick gemächlich hinterhergeschlendert. Rennen bringt ja nichts. Direkt an der Straße öffnete eine telefonierende Nachbarin die Haustür. Sie hatte das Hufgeklapper gehört. Aber anstatt den Weg zu blockieren trat sie einen Schritt zur Seite, machte den dreien Platz, die nun in einer scharfen Rechtskurve auf die Straße liefen. Dummerweise war die Nachbarin auf der anderen Straßenseite gerade damit beschäftigt, Laub in große blaue Müllsäcke zu füllen. Das setzte die kleine Herde in Trab, und zwar in einen fleißigen Arbeitstrab…
Ich konnte sie bis zur Schule verfolgen. Da sind die drei dann nach links abgebogen auf eine kleine Wiese, die ohne Zaun an ein abgeerntetes Maisfeld grenzt. Das Maisfeld ist riesig, bestimmt dreimal so groß wie meine Weiden. Na super! Alle drei genossen die Freiheit, galoppierten fröhlich um das Feld, buckelten zwischendurch, um dann schließlich aufgeregt auf dem Wiesenstück zu grasen. Ich dachte, wenn ich Cera mit dem Strick greifen können würde, dann würden sie mir alle wieder folgen. Aber Cera hat mir was gepfiffen. Als sie mitbekam, ich will sie greifen, machte sie auf der Hacke kehrt und donnerte mit den anderen zurück über das Maisfeld. In so einer Situation heißt es, Ruhe bewahren, nur nicht nervös werden.
Nachbarin Claudia, die das Szenario beobachtet hatte – sie haben die Pferde auf dem rechten Nachbargrundstück – kam mit dem Auto angefahren, um mir zu helfen. Es war aber klar, dass wir keines der Pferde greifen würden können.
Was also tun? Ein nachträglich auftauchender Stallkumpel würde auf alle Fälle meine Pferde vom Feld zurückholen. Während also Claudia aufpasste, dass die Pferde nicht auf die Straße zurückliefen, eilte ich zurück, um Dango zu holen. War auch nicht so ganz einfach. Denn Dango und Donovan liefen ja noch frei zwischen Reitplatz und Paddock hin und her. Erst einmal sperrte ich beide in ihre Box. Alle, die Dango kennen, wissen, wie schwer es ist, ihn aufzuhalftern, wenn er mit geblähten Nüstern in die Ferne glotzt, um seine Kumpels zu erspähen. Wie gut, dass ich recht groß bin…
Irgendwann hatte ich ihn dann. Strick dran und mit ihm den drei Ausreißern hinterher. Das ging erstaunlich gut. Er tänzelte nur ein wenig…
Als die drei Dango hörten, der sich sofort lauthals wiehernd bemerkbar machte, kamen sie wild angaloppiert, ihn zu begrüßen. Ich hatte noch ein zweites Halfter und zwei Stricke mitgebracht. Aber mit einer Hand das Pferd und mit der anderen Cera einfangen – keine Chance. Claudia wollte Dango partout nicht in die Hand nehmen. Er war ihr wohl zu wild (dabei war er nur ein wenig aufgebracht…). Sie wollte Asterix einfangen. Hmm… Schlechte Idee. Asterix bedeutet der Herde nichts. Den wegzuführen und zu hoffen, dass die anderen folgen, hätte nicht funktioniert. Außerdem hatte sie eine Brötchentüte in der Hand, wollte wohl versuchen, die Tiere mit Futter anzulocken. Aber eine knisternde Brötchentüte ist für Rasga so bedrohlich, dass sie gleich Reißaus nahm.
Man braucht in solchen Situationen nicht nur die nötige Ruhe, sondern auch Glück. Und das erschien in Form von Reitstallbesitzer Hans-Reinhard Pieper. Er hat den großen Reitstall direkt an der Segeberger Chaussee, dessen Weiden direkt an das Maisfeld grenzen. Er hatte die rennenden Pferde von seinem Haus aus gesehen und kam eiligst quer über die Wiese gelaufen, hatte er erst vermutet, drei SEINER Pferde seien ihm abhanden gekommen. Er bot an, seine Weide zu öffnen. Dann wären die Racker erst einmal ausbruchsicher weggesperrt. Gute Idee. Ich hätte den Pferden die große Weide mit noch ordentlich viel Gras drauf auch wirklich gegönnt.
Aber nun standen alle Pferde dicht gedrängt auf einem Haufen, begrüßten und stupsten sich, Cera graste hastig. Da konnte ich ihm Dango in die Hand drücken. Unterdessen nahm ich Cera ans Halfter. Ich hätte sie eine Woche lang hungern lassen, wäre sie erneut weggedreht!!! Cera übernahm dann Claudia. Rasga schlaufte ich nur das Führseil um den Hals. Und nun konnte unsere kleine Gruppe die Heimreise antreten. Alle waren oberfriedlich, als wenn wir von einem kleinen Morgenspaziergang gekommen wären. Im Stall haben wir dann alle in die Boxen eingetütet. Und Donovan? Der war überraschend brav zurückgeblieben. Keine durchgewühlte Box, kein panisches Gewieher!
Ich hab mich natürlich ganz arg bei Claudia bedankt, den Reitplatz geschlossen, den Folienrest weggeräumt – und den Morgen noch einmal von vorn begonnen: Eine Box nach der anderen aufmachen, um die Pferde auf den Paddock zu lassen…
Wen ich ja auch total aus den Augen verloren hatte, waren die Hunde. Keine Spur von ihnen. War mir aber ehrlich gesagt, auch egal. Als wir aber mit den Pferden wieder zurückgekommen waren, bellten sie uns fröhlich aus meinem Garten an! Sie waren entweder gar nicht ganz stiften gegangen, oder schon wieder zurück. Brave Hunde!
Wie gerne hätte ich von dieser doch aufregenden Situation ein paar Fotos gehabt. Wie toll haben die Pferde auf dem Maisfeld ausgesehen. Aber ich hatte dann doch nicht genug Ruhe, die Kamera mitzunehmen…
Dieses “Unglück” beweist aber wieder, wie wichtig es ist, die Charaktere der Pferde zu kennen, abzuschätzen, welches Pferd man einfangen muss, um den Rest der Herde mitzuziehen. Die selbstbewusste Cera hätte funktioniert, aber die kam ja nicht. Rasga hätte nicht geklappt, weil Rasga “nur” Mitläufer ist. Und wie gut, dass nicht alle unterwegs waren. Ich glaube, ich hätte keine Chancen gehabt, dann einen von ihnen zu greifen.
Ich habe nach dem Schreck erst einmal eine ordentliche Tasse Kaffee getrunken, tief Luft geholt und die Hunde für ihr vorbildliches Verhalten gelobt.
Als ich die Pferde mittags vom Paddock einsammelte, waren sie entspannt wie immer. Ein bisschen müder als sonst vielleicht, aber fröhlich und unverletzt… Was für eine Saubande!