In einem Pferdeforum wurde ich mal danach gefragt, warum ich glaubte, dass die HSH-Methode gewaltfrei sei, wo wir die Pferde doch so eng ausbinden würden. Hier meine Antwort:
Gewaltfrei deshalb:
Es wird zunächst nichts am Gebiss gemacht. Alle Trainingseinheiten finden am weich gepolsterten Kappzaum statt.
Es gibt keine Strafen mehr. Ich nehme auch ein ungewolltes Verhalten des Pferdes an und mache eine Lektion daraus.
Beispiel: Das Pferd hat die Kurzkehrt-Wendung gelernt und bietet sie mir an der langen Seite ungefragt an. Ich lasse dem Pferd seinen Willen, es darf die Kurzkehrt-Wendung zu Ende bringen, aber ich achte darauf, dass das ordentlich passiert. Nach wenigen Schritten geradeaus „in die falsche Richtung“ verlange ich ein erneutes Kurzkehrt wieder zurück. Jetzt bin ich wieder da, wo ich eigentlich hinwollte. Es hat keine Mäkelei gegeben, das Pferd ist zufrieden. ich belohne quasi den Versuch des Pferdes, mitzudenken und mir etwas anzubieten.
Anderes Beispiel: Der Spanische Schritt. Wenn die Pferde die Lektion erst einmal begriffen haben, versuchen sie anfangs andauernd, den Spanischen Schritt unterzubringen, wenn man etwas von ihnen will. Früher hätte ich das abgestellt, das Pferd dafür gerügt. Bei meinem Pferd (mit der neuen Erkenntnis) habe ich es kurz gelobt (aber nur kurz und nicht übermäßig wie sonst bei gelungenen Lektionen) und erneut die eigentlich gewünschte Übung verlangt. Es dauerte nicht lange und Cera hat den Spanischen Schritt nur noch auf Kommando gezeigt.
Gleiches gilt fürs Steigen. Normalerweise eine Todsünde, wenn es nicht gewollt ist. Ich habe daraus eine Lektion gemacht. Jetzt steigt Cera wo immer ich will – aber nur und ausschließlich auf Kommando und nicht mehr von sich aus.
Mein Ansatz in der Ausbildung ist: „Das Pferd will mir alles Recht machen“. Wenn es trotzdem nicht tut, was es soll, hat es mich nicht verstanden. Ich muss meine Bitte anders formulieren.
In HSH lernt man, kreativ zu sein und die Lektionen auf unterschiedlichste Arten abzurufen. Funktioniert die eine Methode nicht, finde ich einen anderen Weg, dieselbe Lektion abzufordern.
Nach den ersten Wochen der Grundausbildung lernt das Pferd seinen Neigungen entsprechend. Cera steigt für ihr Leben gern – ich rufe die Lektion oft ab. Die kurzen Tritte hingegen fallen ihr schwer. Ich trainiere sie trotzdem, aber in kurzen Reprisen und mehrmals innerhalb einer Trainingseinheit.
Es geht nicht darum, dass Cera die Lektion perfekt beherrscht. Es geht darum, ihr die Lektion verständlich zu machen. Erst, wenn sie das Kommando verstanden hat und weiß, was ich von ihr will, kann ich die Lektion üben, bis sie perfekt ist.
Ergebnis: Ich habe ein stets zufriedenes Pferd, das sich traut, etwas zu probieren. Cera muss nicht befürchten, dass sie für eine falsche Übung bestraft wird. Ich belohne den leisesten Versuch, eine Lektion zu versuchen.
Das galt besonders für die kurzen Tritte. Um die zu erzeugen, machte ich hinter ihr tüchtig „Wind“, schlug mit der Gerte mal laut gegen die Bande oder auf den Boden hinter ihr (Cera ist leider seeeehr träge). Ihre Antwort: Versuch zu steigen, rückwärtsgehen, seitwärts gehen, sich zu mir umdrehen usw. Ich habe sie gewähren lassen und einfach ruhig dagestanden. Als auch sie wieder ruhig stand, habe ich es noch mal probiert. Und plötzlich hatte ich zwei angedeutete Tritte. Die habe ich übermäßig belohnt und sie sofort in den Stall gebracht.
Das Gleiche gilt fürs Reiten. Ich reite mit Zügeln, die niemals ganz „dran“ sind. Trotzdem geht sie in guter Aufrichtung, dehnt sich, wenn ich die Hand vorgebe. Gelingt eine Lektion besonders gut, springe ich ab und höre auf. Ich muss sie nicht mehr buffen, reite sie ohne Sporen und Gerte, und Cera geht trotzdem fleißig ohne eilig zu sein.
Das Anhalten übte ich zunächst mit dem Stimmkommando, das sie vom Boden her kennt. Heute kann ich sie mit weggeworfenen Zügeln und schwerem Sitz aus allen Gangarten anhalten. Und: Sie steht IMMER gerade, Hinterbeine aneinander nebeneinander wie mit dem Lineal gezogen. Auch das ist das Ergebnis der Arbeit an der Hand. „Es ist ihr zur guten Gewohnheit geworden“, würde Herr Stahlecker sagen.
In der HSH-Methode trainiert man die Körperteile des Pferdes einzeln. Die Hinterhand, die Vorhand, Freiheit der Schulter, Halsmuskulatur usw. Das fügt sich dann von selbst zu einem guten Bild zusammen. Man muss nur ein wenig Geduld haben.
Nicht, dass ihr denkt, ich reite wie ein junger Gott. Ich bin Mitte 50, rückenkrank und nicht gerade ein Wunder an graziler Bewegung. Mit dem Reiten habe ich auch erst vor wenigen Wochen wieder begonnen. Noch reite ich die Lektionen einzeln, kann sie noch nicht zu einer kompletten L oder M-Aufgabe zusammenfügen.
Aber: Ich weiß, dass es nicht länger als weitere vier Wochen dauern wird, ehe das möglich ist. Und dann kann ich an der Ausführung feilen.
Cera ist eine inzwischen 8-jährige Westfalenstute, die manchmal ihren eigenen Kopf hat. Leider hat sie viele Vorerfahrungen im Reiten (überwiegend durch mich), gegen deren Erinnerung ich anreite. Ich möchte mein Pferd „mit dem Hintern“ lenken und nicht durch Zügelzug, klopfende oder quetschende Beine und schon gar nicht mit Gerte. Es ist auch klar, dass es widersätzliche Pferde gibt, die sich Unarten angewöhnt haben, die einen härteren Einsatz verlangen und noch eine Ecke mehr Geduld.
P.S. noch was zur Gewaltlosigkeit: Gewaltlos heißt nicht antiautoritär. Das hat schon bei den Kindern in den 70er-Jahren nicht funktioniert. Natürlich ticke ich sie am Boden schon mal mit der Gerte an, damit sie sich mehr Mühe gibt. Gewaltlos heißt für mich, so pferdegerecht wie möglich, so dass das Pferd weiß, was ich von ihm will.